Für eine Sonderausgabe von „Blickwinkel“ haben wir
ORF-Moderator und Journalist Christoph Feurstein interviewt. Warum ihn gerade
die schlimmsten Schicksalsschläge interessieren, und was seine Meinung über den
kommenden Kinofilm „3096 – Natascha Kampusch“ ist.
Du
befasst dich schon seit über zehn Jahren mit den Schattenseiten unserer
Gesellschaft. Warum sind es gerade diese Geschichten, die dich so
interessieren?
Mich
interessiert, was Menschen dazu treibt, solche Taten zu begehen. Ich will die
Hintergründe von Schicksalen und Ereignissen ergründen. Den Ursachen auf den
Grund zu gehen, sie zu erkennen, schützt vielleicht in der Zukunft Menschen
davor, zum Opfer zu werden. Ich bin der Meinung, dass es für die Gesellschaft
wesentlich ist, darüber nachzudenken, warum Menschen aus der Bahn geraten sind
und für uns unverständliche Taten setzen.
Sind deine Beiträge bei Thema
vielleicht der Spiegel unserer Gesellschaft?
wäre sehr schön. Ich schau immer darauf, dass niemand auf der Couch zu Hause
sitzt, sich zurücklehnt und dabei denkt, dass das Ganze nichts mit der eigenen
Person zu tun hat. Als außenstehender Zuseher weidet man sich gerne an den
Schicksalen anderer und genau das möchte ich verhindern! Ich denke, wir sind da
in unserer Redaktion „Thema“ sehr gut, wenn wir den Zuseher mit in die
Verantwortung ziehen. Man soll begreifen, dass einen vielleicht das gleiche
Schicksal hätte ereilen können, wenn das Leben eine andere Wendung genommen
hätte.
Wie gehen wir in Österreich mit unseren Tätern um?
Verbrecher werden sofort in eine Schublade gesteckt und werden schnell als
Monster abgetan. Die Gesellschaft macht es sich dadurch sehr einfach, weil man
sich mit einem Monster erst gar nicht auseinander setzen braucht. Das verstellt
natürlich komplett die Sicht für Veränderung und Verbesserung. Letztendlich
geht es bei all diesen Überlegungen nur darum, weitere Opfer zu verhindern.
Dazu muss man sich ganz real und tief mit Tätern und ihrer Psyche
auseinandersetzen.
Deine jahrelange Arbeit mit Opfern und Tätern: Wird das nicht zur
Routine? Berührt es einen nicht mehr so wie am Anfang?
Nein, gar nicht! Man stößt immer wieder auf Dinge, die einen aufs Neue
berühren. Alles andere wär ja schlimm. Da müsste ich meinen Job aufgeben, weil
ich ihn nicht mehr gut mache. Man erfüllt ja hier eine Aufgabe. Man spricht mit
Menschen! Man gibt ein gutes Gefühl, weil man da ist, weil man zuhört, weil man
denen eine Wichtigkeit gibt.
Kannst du überhaupt noch abschalten, wenn du nach Hause kommst?
Ein Job, wo man sich mit Menschen beschäftigt und oft ans Eingemachte geht,
das begleitet einen immer! So ganz abschalten… Uff! Eine Krankenschwester zum
Beispiel, die mit Krebspatienten arbeitet, wird auch immer einen Teil ihrer
Arbeit mit nach Hause nehmen.
Stößt man dann nicht bald an seine Grenzen, wenn man sich immer mit solchen
Dingen befasst?
Ja klar! Schon einige Male! Aber nie so, dass ich gedacht hätte, nein ich
mag nicht mehr, das ist mir zu viel! Eher mit einer ganz großen Neugierde. Ich
scheu mich nicht von diesen Extremsituationen.
Ich sage immer, für mich wäre es wesentlich deprimierender, hätte ich nicht
die Möglichkeit zu verstehen. Versucht man zu verstehen, bekommt man die Macht
des Handelns zurück, weigert man sich, hinter Schlagzeilen zu sehen, bleibt nur
die Ohnmacht.
Wenn du an die letzten Jahre zurückdenkst, war der Fall Kampusch Fluch
oder Segen für deine berufliche Laufbahn?
Etwas von Beidem. Diese junge Frau zu dieser schwierigen Zeit zu begleiten
und dabei die Grenze zu wahren, Verantwortung zu übernehmen und doch Journalist
zu bleiben, das war nicht einfach. Mir war immer wichtig, dass sie sich von mir
nicht ein weiteres Mal journalistisch missbraucht fühlt. Negativ an dieser
Geschichte war dann eher doch der Neid von Menschen, bei denen ich es nie
gedacht hätte. Das war schon eine ganz heftige Zeit und hat sehr viel Kraft
gekostet. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich sehr alleine mit dem Ganzen
dastehe.
Ist es ein Problem für dich, wenn Menschen dich immer mit Natascha
Kampusch in Verbindung bringen?
Überhaupt nicht! Die Menschen, die immer schon Thema geschaut haben, kennen
mich auch von einer anderen Seite. Außerdem brauche ich mich für nichts zu
schämen.
Über den Film „3096 Natascha Kampusch“, der nächstes Jahr 2013 in die Kinos
kommen soll: Was hältst du eigentlich von diesem Filmprojekt?
Schwierige Frage. Es ist ein Stoff, der die ganze Welt bewegt. Leider stehen
viele Österreicher Natascha Kampusch sehr kritisch und auch bösartig gegenüber.
Das ist über die Grenze Österreichs hinaus ganz anders. Natascha Kampusch ist
dort eine bemerkenswerte Frau, die es geschafft hat, aus ihrer Gefangenschaft
zu fliehen. Für das, dass sie ein fürchterliches Schicksal erduldet hat, geht
sie mit ihrem Leben sehr gut um. Es ist nur in Österreich so, dass man ihr
nichts zu gönnen scheint, dass sie zum Beispiel ein Buch schreibt, oder sich
sozial engagieren möchte.
Nicht typisch für ein Opfer…
Ja genau! Aber kein Opfer gleicht dem anderen. Wir lernen vielleicht diese
Opfer kennen, die weinen, die zusammenbrechen und Hilfe suchen. Es gibt aber
auch Menschen, die alles überspielen, wo keiner glaubt, dass sie Opfer sind!
Jeder geht anders mit Verletzungen um. Bei Natascha Kampusch erwartet sich die
Gesellschaft, dass sie weinen soll, dass sie gebrochen ausschauen soll! Ein
typisches Opfer halt. Aber da sie ein Buch rausbringt und in der Öffentlichkeit
steht, kann sie für die Gesellschaft kein Opfer sein. Das ist fatal! Und ich
mach mir da auch wirklich große Sorgen, dass genau aufgrund dessen, wie man mit
ihr umgeht, wie bösartig man zu ihr ist, viele Opfer denken werden: Na, wenn
das so ist, werde ich mein Schicksal nie jemanden erzählen!
Wenn der Film dann erscheint, wird es wieder Wellen schlagen? Hört das
nie mehr auf?
Mein Gott! Diesen Film wird es geben und ich muss ganz ehrlich sagen, ich
hab auch ein bisschen Angst, weil ich weiß, dass es all diese Menschen wieder
auf dem Plan ruft, die wieder Ungeheuerliches von sich geben werden. Ich mein,
diese letzte Welle! Das nimmt Dimensionen an, die echt an einer Hexenjagd
erinnert. Wenn sich dann die politischen Parteien einmischen, wenn dann sogar
schon Leute in Schulen gehen und Kinder jagen, weil sie glauben, dass könnte
das Kind von Natascha Kampusch sein. Das ist ja unglaublich, was da geschieht!
Oder dass sie auf der Straße geschlagen wird!
Was ist da genau passiert?
Sie ist von einer Frau mit einer Zeitung attackiert worden, die ihr nachgeschimpft
hat, du Lügnerin! Das ist alles nur, weil es da Menschen gibt, die nur
Bösartigkeiten und Verschwörungstheorien verbreiten, die sich im Grunde sofort
widerlegen lassen.
Ich hab´ auch so viel über Medien gelernt. Ich hätte es nie für möglich gehalten,
dass von Zeitungen so viele Dinge verbreitet werden, ohne dass sie
nachrecherchiert werden. Dass Dinge abgeschrieben werden, dass Dinge, nur um
die Auflage zu erhöhen, publiziert werden. Unwahrheiten als Tatsachen verkauft!
In dieser Sache, glaube ich, dass ganz viel aus dem Ruder gelaufen ist. Wir
werden ja sehen, wohin das alles führt. Spätestens beim Filmstart!